Vernissage / Graffiti
 
Auszüge aus dem Arbeitstext zur Radiosendung “ Die Kunststunde “ am 22.12.2011
 (Hinweis: die Zitate und Quellen sind nicht gekennzeichnet !)

 

Hörfassung ohne Werbung, ca. 60 min
Audiodatei speichern mit Rechtsklick auf den Player

Video : ZDF-Neo, Graffiti in Deutschland 1/3 - Kunst und Tags

Navi Web 2014 oben

Teil 1
Vernissage auf deutsch und andaluz / Ausstellungen im Sendebereich

Vermutlich haben Sie in Deutschland schon einmal eine VERNISSAGE besucht, vielleicht auch hier in Andalusien, und vielleicht waren Sie auch zunächst etwas befremdet so wie ich.
Was ist eine Vernissage? Woher kommt der Begriff? (Wiki)
Ursprünglich firnissten die Künstler (später eher Angestellte der ausstellenden Galerie) die auszustellenden Bilder: d.h. sie wurden mit einer glänzenden oder matten farblosen Ölschicht bestrichen. Damit wurde die Arbeit ‚endgültig abgeschlossen‘, da ein Weitermalen hinterher faktisch unmöglich war. Der Firnis war zwar primär ein Oberflächenschutz, verändert(e) aber die Farben erheblich. Künstler hatten sich demgemäß auf die Wirkung ihrer Farben nach dem Firnissen einzustellen.
Im Lauf der Zeit entstand allerdings der Brauch, dieses ‚Firnissen‘, das der förmlichen Ausstellungseröffnung voranging, mit einer Feier im Kreis von Freunden und Auftraggebern zu würdigen. Später verschwanden die Unterschiede, und aus der Vernissage wurde eine ‚Ausstellungseröffnung‘.
Ich habe in Deutschland etliche Vernissagen ausgerichtet oder ihnen beigewohnt, und der Ablauf ist im allgemeinen immer gleich:
Der Galerist begrüßt die Gäste, dankt den Besuchern für ihr Kommen und hält anschließend eine kurze Rede, um den Künstler und das Werk vorzustellen.
Manchmal überlässt er es auch einem bekannten Kunstkritiker, einem kundigen Journalisten oder einem Kunstprofessor, diese Rede zu halten – dann dauert sie meist etwas länger und kostet Geld. Anschließend gibt es ein kurzes Musikprogramm, zeitgenössisch, also nicht unbedingt schön anzuhören, – oft mit nur einem Streichinstrument oder auch zweien –das kommt auf den Preis an, den diese Darbietung kostet, -billiger sind da schon der Ausdruckstanz oder ein Klangschalenlied - und dann wird die Ausstellung offiziell eröffnet. Der Künstler erhält einen Blumenstrauß, er bedankt sich artig, - die Besucher sind gehalten, sich die Bilder in Ruhe anzuschauen und dem Künstler Fragen zu stellen – das Buffet wird freigegeben oder es werden Canapés gereicht und natürlich Sekt, wahlweise Orangensaft.
Das Ganze ist also ein gesellschaftliches Event mit pünktlichem Beginn, man trifft Freunde und Bekannte, man hat sich vielleicht herausgeputzt, und anfangs herrscht eine leicht feierliche Stimmung, dann wird es meist ausgelassener. Von den Bildern sieht man oft zu wenig wegen des Gedränges, meist ist ein zweiter Besuch erforderlich, wenn man das Werk genauer ansehen oder etwas kaufen möchte.
Hier in Andalusien habe ich einen anderen Ablauf kennengelernt : Oft steht auf der Einladung: 
Ab 20.00 Uhr. Das heißt, man kann auch später kommen oder sehr viel später. Das macht nichts, denn es wird meist keine Rede gehalten und die Begrüßung erfolgt sozusagen Mann gegen Mann. Oder Frau gegen Frau, dann aber mit Küsschen links und rechts und nicht mit Umarmung und Schulterklopfen. Eine Vernissage hier hat nichts Offizielles oder Feierliches, man trifft sich halt und ist gut drauf. Keine Rede, keine Musik, keinen Blumenstrauß für den Künstler – dafür aber viele Fotos und Videos. Alles und Jeder muss irgendwie digital festgehalten werden, ½ Stunde später schon stehen die Fotoalben im Netz. Der mit dem, ganze Gruppen von Bekannten und Unbekannten nebeneinander, Hauptsache es sind viele. Je mehr Fotos, desto erfolgreicher die Vernissage.
Ich habe oft als Besucher bei einer Ausstellungseröffnung versucht herauszufinden, wer eigentlich der Künstler ist; meist musste ich jemanden fragen, der dann auf jemanden zeigte, oder ich musste warten, bis der Bürgermeister fotografiert wurde: Der Künstler war dann meist derjenige, der hinter ihm stand. Bis vor kurzem gab wurden in Velez bei einer Ausstellungseröffnung durch das Kulturamt immer Nüsse und Cava gereicht, bezahlt vom Ayuntamiento. Bei der letzten offiziellen Ausstellung – immerhin mit Preisvergabe - gab es nichts mehr zu essen, aber es wurden drei Reden gehalten. Man kann also sagen, es gibt Fortschritte, sofern sie nichts kosten.

Jedes Jahr veranstaltet Velez-Malaga einen Concurso de Pintura Contemporánea , einen Malwettbewerb für zeitgenössische Malerei. Dieser Wettbewerb wird national ausgeschrieben, es gibt kein vorgegebenes Thema, keine Stilvorgabe; die Künstler müssen nur das Maß 100x100 cm einhalten. Also ein Wettbewerb für quadratische Bilder. Ich habe bis heute den Grund dieser Vorgabe nicht verstanden; ich kann nur vermuten, dass es mit den Räumlichkeiten des Ausstellungshauses zu tun hat. Der Palacio Beniel bietet im ersten Stock und den Aufgängen Platz für ca. 20 Bilder, sofern sie die Maße 100x100 erfüllen. Sonst gibt es vielleicht an den Wänden hässliche Lücken oder Bilder überschneiden sich – ich weiß nicht. Jedenfalls ist es ehrenhaft, dass Velez diesen Wettbewerb ausrichtet, einen Katalog druckt und einen ersten und zweiten Preis vergibt: immerhin 5000 € für den ersten Gewinner und 3000 € für den zweiten. Das ist nicht eben wenig für einen klammen Stadtkämmerer.
Also, warum gibt es diesen Wettbewerb?
Normalerweise dienen regionale Kunstwettbewerbe dazu, junge noch unbekannte Künstler zu unterstützen und ihnen Ausstellungsmöglichkeiten zu ermöglichen. Es geht meist um Künstler aus der Region.
Im letzten Jahr gewann jedoch ein Maler aus Madrid den ersten Preis.
In diesem Jahr erhielt ein jüngerer Maler aus Lissabon den ersten Preis und ein älterer Holländer den zweiten.
Man kann also festhalten: Weder das Alter noch die Herkunft spielten eine Rolle für die Vergabe. Das ist löblich. Denn die Anerkennung von Kunst sollte nicht von der Herkunft des Künstlers oder seinem Alter abhängen.
Soweit ich der spanischen Sprache mächtig bin, habe ich verstanden, das Velez sich mit Hilfe des Wettbewerbs eine Kunstsammlung aufbauen möchte. Die prämierten Bilder verbleiben im Besitz der Stadt als Bausteine dieser Sammlung. Ich halte das für eine feine Sache: Eine städtische Kunstsammlung.  Zeitgenössische Kunst für alle.
Aber: Wer entscheidet, welches Werk dort seinen Platz findet?
Es heißt, eine Jury trifft die Auswahl.
Selbstverständlich, aber wer gehört zu dieser Jury? Welchen Kriterien folgt sie?
Das bleibt im Dunkeln.
Und wenn ich mir die ausgestellten Bilder ansehe, beschleicht mich ein Unwohlsein: ich bin mir nicht sicher, ob der Schattenriss einer Palme, schwarz auf weißem Grund, von hohem künstlerischen Wert ist und der nächsten Generation bewahrt werden muss. Ich zweifle auch daran, dass ein Bild, nach einem sehr guten Foto gemalt aber genauso leblos wie dieses, besser ist und nicht doch besser ein Foto geblieben wäre. Man kann über Bilder streiten bis zum Abwinken und das möchte ich nicht. Ich möchte aber wissen, wer über die Auswahl bestimmt, ich möchte eine Begründung bei der Preisverleihung erfahren, und ich möchte raten, neben der hochoffiziellen Preisauswahl auch das Publikum zu befragen und z.B. einen Publikumspreis einzuführen. Die Höhe dieses Preises muss ja die Kosten des eingesparten Cava nicht überschreiten… Bei manchen Wettbewerben in Deutschland wurde solch ein Publikumspreis mit Publikumsvotum eingerichtet, und ich war immer erstaunt, wie sachkundig diese Voten meist ausfielen. Zu einem solchen Wettbewerb gehen meist Kunstinteressierte, und deren Geschmack ist oft differenziert und ausgeprägt. Es gewinnt also nicht automatisch das Bild mit dem lieben niedlichen Kind oder das Stillleben mit Rosen oder der nicht totzukriegende Torero.  Kann aber passieren…
Palacio Beniel und Wettbewerb,
doch kommen wir aber noch kurz zu einer Ausstellung im Sala de las Carmelitas.

 Der Künstler, der dort ausstellt, heißt Alberto Tarsicio und stammt von hier, ein Kind der Axarquia sozusagen. Er ist noch jung, Anfang 30 und gilt als hoffnungsvolles Talent. Sein Talent kann ich bestätigen. Als ich vor ein oder zwei Jahren eine Ausstellung von ihm in Torre del Mar besucht habe, war ich drauf und dran, ein Bild zu erwerben. Eigentlich tut es mir bis heute weh, dass ich es nicht gemacht habe. Keine Zeit, wenig Geld, also die üblichen Ausreden. Ich habe von ihm sehr schöne Frauenportraits gesehen und viele Akte, die er gemalt hat: Eines der Stilmittel, derer er sich bediente, war das Verlaufen von Farben um die zentralen Positionen des Bildes; also das Gesicht z.B. anmutig und klar, fast klassisch, auch durchaus klassische Posen, während der Rest sich auflöst und zerfließt. Manche Werke mit starken Rottönen gemalt, recht mutig, recht erotisch. Zumindest ungewöhnlich, wenn auch mit dem Hang zur Masche. Dennoch, mir gefielen etliche seiner Bilder. Deshalb bin ich auch von der jetzigen Ausstellung in Velez enttäuscht. Drei Bilder sehr ausdrucksstark, allesamt Portraits junger Frauen, Eyecasher im besten Sinn; dann drei Stadtansichten, Granada, Malaga und Kopenhagen, die weder von der Ausführung noch von Licht oder Farben vom Hocker reißen, alles schon besser gesehen und dann noch ein Sammelsurium von Stillleben und maritimen Themen.
Bei einem Schriftsteller würde man sagen: Er hat eine Schreibhemmung. Und das ist ein gefährlicher Moment. Manche fangen dann an, das Ewigselbe zu variieren, andere sehen einen Ausweg darin, sich auf Klassisches zu besinnen und flüchten in antike und somit fremde Themen, die nur für sie neu sind, also noch mal den Minotaurus, oder sie setzen auf Exotisches und malen plötzlich Indianer in Kanus oder Giraffen in der Savanne.
Dann muss man sich fragen:
Was berührt mich wirklich?
Was kann ich am besten?
Und wie setze ich dieses Beste ein um das zu machen, was mich berührt?
Bei Tarsicio stelle ich fest: Er kann etwas und zwar sehr gut. Aber er weiß im Moment nicht, wofür.
Aber machen Sie sich ein eigenes Bild: Die Ausstellung im Sala de las Carmelitas im Rathaus von Velez läuft noch bis zum…


Teil 2  Graffiti + Keith Haring
Wir werden uns, liebe Hörerinnen und Hörer, in unserer Kunststunde nicht nur über Ausstellungen unterhalten, sondern auch über Künstler, den Kunstmarkt, Kunststile usw.
Aber was ist eigentlich Kunst? Gibt es eine allgemeingültige Definition?
Nein, die gibt es nicht. Aber sicher ist, das jede Definition des Begriffs abhängig ist von der Zeit, in der sie geäußert wird , den Personen, die sie äußern, den Absichten und den Lebensumständen, dem Zeitgeist.
Die jüngste Definition, die ich vor kurzem im Spiegel gelesen habe, stammt von Ai WeiWei, dem chinesischen Dissidenten, der von Seiten der Regierung drangsaliert, unter Hausarrest gestellt und mit Prozessen überzogen wurde.
Er sagt:
Ai: Meine Definition von Kunst ist immer dieselbe geblieben. Kunst ist für mich freie Meinungsäußerung, eine neue Art zu kommunizieren. Es geht nicht darum, in Museen auszustellen, Dinge an die Wand zu hängen. Kunst sollte in den Herzen der Menschen leben. Und normale Leute sollten sie genauso verstehen können wie jeder andere. Kunst ist keine Angelegenheit für Eliten. Im Übrigen lassen sich Kunst und Politik nicht voneinander trennen, nirgendwo. Schon allein die Absicht, beides voneinander trennen zu wollen, ist politisch. Aber ich kenne durchaus schamlose Leute, die grundlegende Werte aufgegeben haben. Wenn ich diese Art von Kunst sehe, schäme ich mich. In China wird Kunst oft als Dekoration behandelt. Es sieht aus wie Kunst, es verkauft sich wie Kunst, aber tatsächlich handelt es sich um ein Stück Scheiße. (Spiegel)
Das klingt in seiner Offenheit radikal.
Kunst ist politisch.
Kunst ist keine Dekoration,  Kunst ist Kommunikation.
Kunst ist nicht für Eliten.
Ai WeiWei steht somit in einer Reihe mit vielen anderen Künstler: z.B. mit Diego Ribera, Oswaldo Guyasamin, Pablo Neruda.
Ich erwähne sie nur deshalb, weil wir in einer der nächsten Sendung auf die Erstgenannten zu sprechen kommen werden…
Heute soll es aber um eine andere und vermutliche umstrittenste Form der Kunst gehen, wenn es denn eine ist: um Graffiti , um die Spraybilder an Hauswänden.
Stellen Sie sich vor: Eine weiße Hauswand, neu gestrichen, ich auf dem Weg zum Bäcker, als ich das dunkelblaue Gebilde am frühen Morgen entdeckte . FUCK YOU stand neben der Eingangstür. Groß und Blau. FUCK YOU! mit Ausrufezeichen. Etwas schief - der nächtliche Sprayer konnte wohl keine Linie einhalten – aber gut lesbar mit hellblauem Rand. Da ich die englische Sprache einigermaßen gut beherrsche, wusste ich, was gemeint war, aber nicht wer. Da war so früh am Morgen nur ich auf der Straße, niemand sonst. Sollte ich mich angesprochen fühlen?
Ich würde sagen, eine Kommunikation kam durch das Werk nicht zustande, also keine Kunst.
Bestimmt war es keine Dekoration, also doch Kunst. Für eine Elite war das Gebilde sicherlich nicht gedacht, was auch für Kunst spricht. Gab ´s eine politische Aussage? Hätte das Gebilde an einer Bankfassade geprangt, unter Umständen – an meiner Hauswand definitiv nicht.
Die Diagnose „Vandalismus – keine Kunst“ war bei aller Abwägung richtig. In der Folge war eine Anzeige gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung eher gegeben als eine Anerkennung auf dem Kunstmarkt.
Wie heißt es in einem Buch von Markus Tschann:
Die Akzeptanz und Definition von Graffiti ist unterschiedlich geprägt. Werden Graffiti in der öffentlichen Wahrnehmung, insbesondere die nicht genehmigten Graffiti, meist als Form des Vandalismus betrachtet, werden sie von anderer Seite auch als Form der Kunst anerkannt.
Der betriebene Aufwand und die Kosten, die im Zusammenhang mit der Entfernung und Vorbeugung vor illegal angebrachten Graffiti entstehen, sind relativ hoch. In Deutschland werden zur Beseitigung illegaler Graffiti pro Jahr circa 500 Millionen Euro ausgegeben, die zur Hälfte auf private Eigentümer entfallen.[5](Wiki)
Gemeinhin- und guten Willen vorausgesetzt - sieht man Graffiti als Kunst vom Rande der Gesellschaft, die es Schlechtergestellten erlaubt, in der ihr eigenen Ausdrucksform auf soziale Probleme aufmerksam zu machen. Gegen diese These spricht, dass die Sprayflaschen und die Markenkleidung, die für die Szenenzugehörigkeit unabdingbar ist, viel kosten.
Die Grenze von Vandalismus und Kunst liegt vielleicht auch zwischen Legalität und Illegalität.

Einigen ehemaligen nächtlichen Sprayern ist dieser Sprung gelungen; sie können mit ihren Spraybildern heutzutage Geld verdienen. Ganz legal. Und meist hat der Sprung in die Legalität auch einen Schub an Kreativität gebracht. Die Werke werden professionell und damit als Kunst ernstgenommen.
Man sieht heute Graffiti in allen Großstädten, auf Hauswänden, an U-Bahnzügen, in Fußgängertunneln. Die größte zusammenhängende Fläche bot vermutlich die Berliner Mauer, die auf westlicher Seite ein einziges riesiges Gemälde war, dass sich durch die geteilte Stadt schlängelte.
(Wiki) Die East Side Gallery ist der größte und bekannteste noch erhaltene Rest der Grenzanlagen der Berliner Mauer. Die eigentliche Grenze bildete an dieser Stelle die Spree. Die Galerie befindet sich an der so genannten Hinterlandmauer, die das Grenzgebiet nach Ost-Berlin hin abschloss.
Auf dieser Mauer haben sich etliche Künstler ausgetobt; sie galt als erstes gesamtdeutsches Kunstprojekt und wurde 1991 unter Denkmalschutz gestellt; seitdem werden die verblassenden Werke restauriert.
(Zitat textblock.de+ http://mitglied.multimania.de/grids/geschichte.html )
Aber woher kommt Graffiti eigentlich?
Welchen Ursprung hat diese Kunstrichtung und warum ist sie heute so, wie sie ist?

Fangen wir direkt bei der Höhlenmalerei an, denn diese werden gerne als erste Graffiti bezeichnet. Die ersten Abbildungen der Menschheit zeigen meist Tiere, Jagdszenen und menschlich Konturen, oder sie zeigen einfache Handabdrücke. Diese »Graffitis« dienten aber nicht nur der Verschönerung von kahlen Wänden, nicht nur als Dekor! Vielmehr wurden sie aus zeremoniellen und spirituellen Gründen angefertigt und sollten zu Jagdglück verhelfen oder die eigene Fruchtbarkeit mehren. – Letzteres Anliegen findet man auch heute noch oft auf öffentlichen Toiletten, besonders in Kneipen oder auf Autobahnraststätten.
Aber warum spricht man heute nicht von Wandmalerei sondern von Graffiti?
Der Ursprung dieses Wortes ist in der Renaissance zu finden, als sich von Italien aus eine bestimmte Kraftputztechnik zur Fassadengestaltung – die sogenannte Sgraffito- über ganz Europa verbreitete. Dabei trug man zuerst einen dunkelfarbigen Putz auf die Wand auf. Darüber kam eine Schicht helleren Putzes, auf dem auch die Skizze gezeichnet wurde. Dann kratzte man entlang der Vorlage die obere Putzschicht ab und der dunkle Untergrund erschien.
Häufig verwendete Motive waren Ornamente und Figuren, es gab aber auch ermahnende und belehrende Inschriften sowie Themen der Griechischen Mythologie und Geschichte, die den Hausherren als Gelehrten auswiesen.

Auf historischen Mauerwerken findet man heute noch private Zeichen und Namen, die dauerhaft belegen sollen, dass jemand an dieser Stelle gewesen sein muss. Geritzt wird auch in Baumstämme – so kennen sicherlich die meisten von uns das typische Liebesherz, oft mit Datum versehen. Zwei Initialen in einem Herz miteinander verbunden oder nebeneinander gestellt.
Halten wir fest, dass das spontane Anbringen von Symbolen, Bildern oder Schrift im öffentlichen Raum die eigentlichen Wurzeln des Graffitis kennzeichnen.
Im antiken Athen war es Sitte, auf Tonscherben öffentlich Anklage gegen jemanden zu erheben.
 Die Wände des im Ascheregen des Vesuvs untergegangenen Pompei (79 n. Chr.) sind für Archäologen und Kulturhistoriker eine wahre Fundgrube. Kritzeleien, Texte, Schmäh- und Sinnschriften, Anschläge für Wahlen bis hin zu anzüglichen Zeichnungen wurden hier reichlich entdeckt. Später konnte man solcherlei an Wänden von Schenken, Kerkern und öffentlichen Orten finden, und natürlich auf Schulbänken und in den berüchtigten Karzern.
Eines der wohl bekanntesten "Zeichen an der Wand" ist der in einer Linie gemalte Fisch. Zu Zeiten der Christenverfolgungen im Römischen Reich benutzten Anhänger des Christentums dieses Symbol zur Identifikation untereinander.
Im Italien des 14. Jh. war es verbreitet, Verurteilte und Hingerichtete auf Wänden des Gerichtsgebäudes oder anderer kommunaler Gebäude darzustellen, z.T. verbunden mit der Tötungsart. Auftraggeber hierfür waren oft die Behörden selbst. Mit einer solchen Zeichnung war der Verlust der Ehre verbunden – und die Schande wurde öffentlich gemacht. Aber es war auch eine Demonstration der Machtverhältnisse.
Im alten Rom um 1500 war das Anbringen von Zetteln mit bissigen, gegen die Obrigkeit gerichteten Versen am pasquino, einem antiken Statuenfragment, durchaus nicht ungewöhnlich. Es gab öffentliche Kummerkästen und Wände voller Zettel mit Gebeten, Klagen usw. Auch hier nutzte man die Wand als Ventil, als Fassade um Mitteilungen, Witze, Verunglimpfungen und Spott loszuwerden. Das bis heute benutzte "schwarze Brett" dürfte hier seinen Ursprung haben.

Die gemalte Dekoration an Häusern war ebenfalls verbreitet und wurde in bestimmten Regionen Süd- und Mitteleuropas ausschweifend betrieben.

Auch Künstler nahmen sich des Phänomens an. Seit der französischen Revolution rückten Graffiti immer mehr ins Blickfeld. Die berühmte Wandaufschrift "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" war damals häufig zu sehen.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie Inschriften auf Wänden zum Mittel bzw. Ziel politischer Auseinandersetzungen werden können, ist die Signatur Francos an der Wand der Universität in Salamanca. Es ist bei den Absolventen der Universität Tradition, sich an der Wand zu verewigen. Die Inschrift des späteren spanischen Diktators ist immer wieder Ziel von Farbbeuteln.

Heutzutage bezeichnet man alle möglichen Kritzeleien und Ritzzeichen als Graffiti. Und seit Ende der 60er wird der Name als Überbegriff für subkulturelle Auf- und Inschriften verstanden.

Wie die Bedeutung des Wortes änderten sich auch Werkzeuge und Materialien. Statt Griffel und Kratzeisen, nutzt man heute Filzstifte, Sprühdosen und Airbrush.
1968  war die Geburtsstunde des neuzeitlichen Graffiti, die in New York innerhalb der sozial schwachen, überwiegend schwarzen Bevölkerung, entstanden ist. Die ersten Sprayer stammten aus Brooklyn, der Bronx und Harlem.
Individuelle Stile wurden entwickelt und man lag bald untereinander in einem Wettstreit um die beste Technik und um die größtmögliche Präsenz. Je größer die Gefahr entdeckt und wegen Sachbeschädigung angezeigt zu werden, desto mehr Anerkennung.
Langsam bildeten sich Writer-Crews, Gruppen von Sprayern, die sich regelmäßig trafen, um Erfahrungen und Techniken auszutauschen und um Ruhm und Ehre zu kämpfen. Um möglichst populär zu werden, sprayte man an den verschiedensten Orten – selbst Busse und Bahnen wurden benutzt, was eine Menge Punkte für den »Writer-Ruhm« versprach.
So wurden ganze Züge und bald auch U-Bahn Stationen davon überzogen. Um zu beweisen, dass man selbst und kein anderer gesprayt hatte, hinterließ man sein Kürzel oder sein individuelles Zeichen, den "tag".
Ab 1983 etwa kam die Sprühmode nach Deutschland, und jede Stadt hat heute legale und viele illegale Graffitis. Manchmal sind es nur tags, Namenskürzel, manchmal bombastische konturierte und schrillfarbige Gemälde, die auch eine ganze Hausfront einnehmen können.
 

Keith Haring
Der bekannteste Vertreter, der die Kunstrichtung der Graffiti weiterentwickelte und damit am Ende Weltruhm erlangte, war der Amerikaner Keith Haring. Fast jeder kennt seine runden lustigen Strichmännchen bzw Konturmännchen, die durch angedeutete kurze schwarze Linien in Aktion versetzt werden. Man hat sie schon gesehen, auf Postkarten, auf Plakaten, auf Plattencovern, auf Teetassen und Uhren, ohne vielleicht zu wissen, dass sie von Keith Haring stammen.
(nach Art Directory)
Keith Haring wird 1958 in Reading geboren. Schon früh begeistert er sich für Comics und zeichnet selbst. Nach dem Abschluss der High School beginnt er 1976 in Pittsburgh eine Ausbildung zum Grafikdesigner, bricht jedoch schon nach zwei Semestern die Ausbildung ab um künstlerisch zu arbeiten.
Ab 1978 lebt Keith Haring in New York, wo er begeistert an der lebendigen und vielfältigen Kunstszene teilnimmt. Er experimentiert mit Performances, Installationen, Collagen und dem Medium Video.
Es folgt ab 1980 eine steile Karrieren als Zeichner, als er beginnt, mit weißer Kreide die schwarzen, unvermieteten Werbetafeln der New Yorker U-Bahn zu bemalen. In den Jahren 1980-85 zeichnet er mit schnellem Strich Hunderte seiner sogenannten "Subway Drawings", oftmals an die 40 Zeichnungen an einem Tag. Diese Strichmännchen ziehen bald nicht mehr nur die Aufmerksamkeit der New Yorker U-Bahn-Fahrgäste, sondern auch der Kunstszene auf sich. Bald werden die Bilder farbig und Haring benutzt auch andere Untergründe, ab 1985 malt er seine Figuren und Männchen auf Leinwand.
Der internationale Durchbruch des Künstlers erfolgt ab 1982. Nach der ersten Einzelausstellung in der Tony Shafrazi Gallery in New York folgen im Verlauf der 1980er Jahre über 100 weitere Einzel- und Gruppenausstellungen. Zudem erhält Haring eine ganze Reihe von Aufträgen für den öffentlichen Raum, darunter eine Animation am Time Square in New York; für die Firma Swatch gestaltet Haring Uhren.
Als cleverer Geschäftsmann eröffnet er  im April 1986 in Soho den Pop Shop, in diesem Laden verkauft er T-Shirts, Poster, Anstecker und viele andere Artikel, die er alle mit seinen Männchen gestaltet. Eine Filiale entsteht in Tokyo. Harings witzige und sympathische Utensilien treffen den Nerv der Zeit und werden zum ungeheuren kommerziellen Erfolg weltweit.
Mit dem Erfolg zeigt Keith Haring auch ein großes soziales Engagement, er nutzt die Popularität seiner Männchen für Botschaften etwa zur Aufklärung vor der Krankheit AIDS oder gegen Drogenmissbrauch, für Anti-Atom-Demonstrationen. Er arbeitet mit dem Kinderhilfswerk UNICEF und entwickelt zahlreiche Projekte für Kinder.
1988 erkrankt Keith Haring selbst an AIDS.
1989 gründet er die Keith-Haring-Foundation.
Keith Haring stirbt am 31.2.1990 31-jährig in New York.
Ich rate Ihnen, liebe Kunstfreunde, den Namen Keith Haring ruhig einmal auf youtube einzugeben. Sie werden dort eine Fülle von sehenswerten Videos über den Künstler finden, auch deutsche…